SEM: Reflektive und formative Messmodelle
Arndt Regorz, Dipl. Kfm. & MSc. Psychologie, 30.09.2023
Eine der wichtigsten Entscheidungen in der Strukturgleichungsmodellierung (SEM) besteht darin, das geeignete Messmodell für Ihre latenten Konstrukte auszuwählen. Zwei häufig verwendete Messmodelle in der SEM sind reflektive und formative Messmodelle. Dieses Tutorial soll die Unterschiede zwischen diesen beiden Modellen verdeutlichen und Einblicke geben, wann die jeweiligen Modelltypen verwendet werden sollten.
In der SEM beschäftigen sich Forscherinnen und Forscher oft mit latenten Konstrukten, die nicht direkt beobachtbare sind. Daher muss vorgegeben werden, wie die latenten Variablen aus den beobachteten Variablen (Indikatoren, häufig Fragebogenitems) geschätzt werden können. Die beiden Haupttypen von Messmodellen sind dabei reflektive und formative Messmodelle.
Reflektives Messmodell
In einem reflektiven Messmodell werden beobachtete Variablen als Indikatoren eines gemeinsamen zugrunde liegenden latenten Konstrukts angesehen. Es wird erwartet, dass diese Indikatoren miteinander korreliert sind, da sie alle dasselbe zugrunde liegende Konzept messen.
Ein reflektives Messmodell hat folgende Merkmale:
- Gemeinsame Ursache: In einem reflektiven Modell wird das latente Konstrukt als die gemeinsame Ursache der beobachteten Variablen betrachtet. Veränderungen im latenten Konstrukt führen zu Veränderungen in den beobachteten Variablen. In einer Modellgrafik sieht man das daran, dass die Pfeile von den latenten Variablen auf die beobachtbaren Variablen zeigen.
- Korrelation der Indikatoren: Hohe Korrelationen zwischen den beobachteten Variablen werden in einem reflektierenden Messmodell erwartet, da sie alle auf dasselbe Konstrukt abzielen.
- Austauschbarkeit: Das Entfernen oder das Hinzufügen eines Indikators zum reflektiven Messmodell ändert nicht grundlegend die Bedeutung des Konstrukts.
Ein Beispiel dafür wäre ein Intelligenztest. Eine höhere Ausprägung auf der latenten Variable Intelligenz wird dazu führen, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die verschiedene Einzelfragen des Intelligenztests richtig beantworten werden können. Daher kann man annehmen, dass das Ausmaß der Intelligenz die erzielten Punkte auf jedem einzelnen Item bis zu einem gewissen Maß vorhersagt. Die latente Variable (Intelligenz) ist der Prädiktor, die gemessenen Variablen (Testitems) sind das Ergebnis.
Formatives Messmodell
In einem formativen Messmodell werden beobachtete Variablen als konstitutive Elemente angesehen, die das latente Konstrukt definieren. Es wird nicht zwingend erwartet, dass die beobachteten Variablen untereinander korreliert sind.
Merkmale:
- Konstruktdefinition: In einem formativen Modell wird das latente Konstrukt durch die beobachteten Variablen definiert. Veränderungen in den beobachteten Variablen führen zu Veränderungen im latenten Konstrukt – also genau umgekehrt wie bei den reflektiven Messmodellen. In einer Modellgrafik sieht man das daran, dass die Pfeile von den beobachteten Variablen auf das Konstrukt zeigen.
- Unabhängigkeit der Indikatoren: Im Gegensatz zu reflektiven Modellen werden bei formativen Modellen keine starken Korrelationen zwischen den beobachteten Variablen erwartet.
- Keine Austauschbarkeit: Die Hinzunahme oder der Wegfall eines Indikators kann die inhaltliche Bedeutung eines Konstrukts deutlich ändern.
Ein Beispiel dafür wäre die Kundenzufriedenheit mit Indikatorvariablen wie Produktqualität, Schnelligkeit des Kundenservices und Wettbewerbsfähigkeit des Preises. Hier geht man davon aus, dass diese Indikatoren das Maß der Zufriedenheit der Kunden verursachen und nicht umgekehrt z.B. die Zufriedenheit die tatsächliche Qualität des Produkts verursacht.
Ein anderes Beispiel wäre der sozioökonomische Status von Schülerinnen und Schülern. Diesen könnte man z.B. messen durch den höchsten Bildungsabschluss der Eltern, das Einkommen der Eltern und den berufliche Status berufstätiger Elternteile. Auch hier geht man davon aus, dass diese Indikatoren den Status beeinflussen und nicht umgekehrt.
Praktische Umsetzung und Verfahrenswahl
Wenn ausschließlich relektive Messmodelle vorliegen, werden häufig klassische, kovarianzbasierte Verfahren der Strukturgleichungsmodellierung verwendet (mit Programmen wie lavaan, AMOS, MPlus), aber auch die Partial Least Squares (PLS) Strukturgleichungsmodellierung kommt hierfür in Frage.
Wenn ganz oder teilweise formative Messmodelle verwendet werden, ist die Modellierung mit der kovarianzbasierter SEM relativ schwierig. In diesem Fall bevorzugt man häufig PLS SEM.
Informationen zu den Unterschieden zwischen kovarianzbasierter SEM und PLS SEM finden Sie in folgendem Tutorial:
Kovarianzbasiertes SEM vs. PLS SEM
Literatur
Simonetto, A. (2012). Formative and reflective models: State of the art. Electronic Journal of Applied Statistical Analysis, 5(3), 452-457.